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Datum: 28. September 2015

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Datum: 5. Februar 2014

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Torsten Dressler, „Stillgestanden – Blick zur Flamme!“

Das DDR-Militärstrafgefängnis und die NVA-Disziplinareinheit in Schwedt/Oder von 1968-1990. Baugeschichte, Bestandsdokumentation und Zeitzeugenberichte, Berlin/Bonn: Westkreuz 2013, 448 S., EUR 29,90 [ISBN 978-3-944836-10-2] Die Nationale Volksarmee (NVA) war das stärkste bewaffnete Organ in der DDR.

Ihre Angehörigen unterlagen nicht nur einer rigiden militärischen Befehlsstruktur, sondern auch einer besonderen Militärjustiz. So konnten straffällig gewordene und politisch unliebsame Soldaten vor ein Militärgericht gestellt und abgeurteilt werden. Ein spezieller Militärstrafvollzug sollte zudem dafür sorgen, die Delinquenten, die bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden waren, nach ihrer Strafverbüßung als „sozialistische Soldatenpersönlichkeiten“ wieder in die Einheiten zurückzuführen. In diesem Kontext wurde Ende der 1960er Jahre die uckermärkische Kleinstadt Schwedt/ Oder zum Standort des einzigen Militärgefängnisses der DDR. Allerdings blieb der Bevölkerung und selbst den meisten NVA-Angehörigen bis 1990 verborgen, was es mit dem Militärstrafvollzug und der Militärstrafvollzugseinrichtung Schwedt wirklich auf sich hatte. Allein schon der Name „Schwedt“ löste Furcht und Schrecken aus, so berichten Zeitzeugen bis heute. „Dafür kommst Du nach Schwedt!“ war eine Drohung, die in den NVA-Kasernen von den Soldaten ernst genommen wurde. Wilde Gerüchte über unmenschliche Zustände und Folter kursierten in der Truppe – der „Mythos Schwedt“ war geboren. Die Armeeführung nutzte diesen Mythos gezielt, um „Schwedt“ einerseits zu tabuisieren und ihn andererseits zur Durchsetzung einer straffen Disziplin in den Streitkräften zu instrumentalisieren. Nach dem Ende von DDR und NVA geriet das Thema in Vergessenheit.

Erst in den letzten Jahren rückte die historische und politische Aufarbeitung des berüchtigten „Armeeknastes“ stärker in die Öffentlichkeit. Seitdem befassen sich neben einer einsetzenden Erinnerungsliteratur und einem speziellen Internetforum auch wissenschaftliche Untersuchungen mit dem Themenkomplex des Militärstrafvollzuges in der DDR.1 Der vorliegende Band des studierten Archäologen Torsten Dressler ordnet sich dabei – um es vorweg zu nehmen – als ein grundlegendes Werk ein. Der Autor will nämlich nicht nur „durch genaue Beobachtung und Beschreibung die Funktionsweise und gesellschaftlichen Mechanismen“ (S. 9) des militärischen Zwangssystems in der NVA erläutern, sondern auch mittels einer Baubeschreibung und Fotodokumentation die „Standort- und Nutzungsbestimmung des Militärstrafvollzugs Schwedt“ (S. 12) und den jetzigen Zustand des Geländes erfassen. Diesen Zielen nähert sich Torsten Dressler in drei größeren Kapiteln und einem Anhang an, wobei freilich das DIN-A-4-Format des Bandes und die Struktur der Texte auf den ersten Blick etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen.

Einleitend beschreibt der Autor den Aufbau der DDR-Militärjustiz und des Disziplinarsystems der NVA und reflektiert dazu im Wesentlichen den aktuellen Forschungsstand. Nur am Rande sei vermerkt, dass „Admiral Hoffmann“ (S. 30) 1986 natürlich nicht Verteidigungsminister war. Diese Funktion hatte von 1985 bis 1989 Armeegeneral Heinz Keßler inne.

In dem sich daran anschließenden sehr umfangreichen Hauptkapitel geht Torsten Dressier dann auf den Auf- und Ausbau der pseudomilitärischen Strafanstalten in Berndshof und Nitzow in den 1950er und 1960er Jahre sowie auf die Entwicklung der Strafvollzugseinrichtung für Militärangehörige in Schwedt für die Jahre von 1968 bis 1990 ein. Ihm gelingt es, bereits vorliegende Forschungsergebnisse aufzugreifen und diese mit zahlreichen neuen Akzenten und unbekannten Fakten zu verknüpfen und zu ergänzen. Das trifft insbesondere auf seine Darstellungen zur „Grundstruktur und Bestandsdokumentation“ der jeweiligen Hafteinrichtung zu. Hier zeigt sich die Stärke des Bandes. Akribisch werden Gebäude und Anlagen rekonstruiert, Nutzungen analysiert sowie Originalgrundrisse von Baracken und Hallen beschrieben. Überaus anschauliche, teils farbige Lagepläne sowie zahlreiche Fotos helfen dem Leser, die Strukturen und Aufgaben der militärischen Straflager und Vollzugseinrichtungen zu verstehen. All dies war in dieser Detaildichte und Exaktheit bisher nicht bekannt.

Zu Recht räumt der Autor dabei der sogenannten späten Phase des Militärstrafvollzugs in der DDR ausreichend Platz ein, die von der Übergabe des bisherigen Militärgefängnisses vom Innenministerium an das Verteidigungsministerium 1982 bis zur Auflösung der Einrichtung im Mai 1990 reichte. Es entstand die NVA-Dienststelle Schwedt, die die offizielle Bezeichnung „Disziplinareinheit 2″ erhielt. Hinter dieser Bezeichnung verbarg sich nicht nur das Gefängnis für gerichtlich verurteilte Militärpersonen, sondern auch, in der gemeinsamen Liegenschaft freilich strikt voneinander getrennt, ein neugeschaffener Disziplinarteil für Disziplinarbestrafte, die ohne Gerichtsurteil direkt aus der Truppe nach Schwedt kamen. Gerade in dieser Zeit erfolgten zahlreiche Neu- und Umbauten, die auch letztlich den Lebens- und Arbeitsbedingungen der in Schwedt untergebrachten Militärstrafgefangenen, Militärarrestanten und Disziplinarbestraften zu Gute kamen. So wurden im Militärstrafvollzugsbereich 1987/88 alte, bereits seit Jahren völlig verschlissene Unterkunftsbaracken abgerissen und ein neues Gebäude für die Militärstrafgefangenen als zweigeschossiger Betonfertigteilbau mit Flachdach errichtet. Torsten Dressier beschreibt hier Räume, Anlagen und Einrichtungen ebenso plastisch wie auch die Gebäude, Hallen und Geräte im Arbeits-, Ausbildungs-, Außen- und Sicherheitsbereich. Dies ist umso verdienstvoller, wenn man weiß, dass heute auf dem Gelände der ehemaligen NVA-Disziplinareinheit fast nichts mehr so erhalten ist, wie es bis 1990 einmal war. „Die baulichen Hinterlassenschaften der Militärstrafvollzugseinrichtung sind mittlerweile im Jahr 2013 sehr rar geworden: nahezu vollständig zerstört sind der Verwahrbereich des Militärstrafvollzugs sowie der Produktionsbereich durch den Bau der Photovoltaikanlage im Jahre 2012. Der militärische Ausbildungsbereich wurde bereits in den 1990er Jahren eingeebnet, der Stabsbereich ist durch Gewerbeansiedlungen überformt bzw. durch Abriss stark dezimiert worden. Das Stabsgebäude 16 und die Wache 17 werden durch die Stadt seit Jahren als Städtisches Wohnheim genutzt. Lediglich das ehemalige Unterkunftsgebäude 15 der Disziplinareinheit – ebenfalls in städtischer Hand – steht noch unverändert vor Ort und wird derzeit teilweise im Erdgeschoss als Lager genutzt.“ (S. 396)

Der Autor wendet sich in seinem Buch jedoch nicht nur der materiellen Hinterlassenschaft der Schwedter NVA-Einrichtung zu. Er versucht ebenso, dem Leser einen Einblick in die innere Verfasstheit und in den Alltag im „Armeeknast“ zu vermitteln. Hierzu ergänzt und erweitert er das bereits vorhandene Wissen vor allem durch die Auswertung ausführlicher Zeitzeugenbefragungen, die er mit mehreren ehemaligen Insassen und Bediensteten geführt hat.

Im vierten und damit letzten größeren Kapitel des Buches finden sich dazu unter der Überschrift „Übergreifende Themenfelder“ aufschlussreiche zusammenfassende Bemerkungen und Fakten, so zu den Haftbedingungen, zur politischen Erziehung, zum Arbeitseinsatz, zur militärischen Ausbildung sowie zur Personalstruktur der Häftlinge und Bediensteten. Letztere kann beispielsweise aufgrund der äußerst lückenhaften Aktenlage bisher nur unzureichend analysiert werden. Insgesamt waren in der Zeit des Bestehens der NVA-Disziplinareinheit von November 1982 bis Anfang 1990 etwa 800 Militärstrafgefangene mit Freiheitsstrafe und Strafarrestanten sowie rund 2500 Disziplinarbestrafte in der Einrichtung untergebracht. Die überwiegende Mehrheit der Inhaftierten saß wegen sogenannter Militärstraftaten wie Befehlsverweigerung, unerlaubter Entfernung und Angriff auf Militärpersonen ein. Hinzu kamen allgemeine kriminelle Delikte wie Diebstahl oder Körperverletzung. Aber auch aus politischen Gründen zu Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren verurteilte Grundwehrdienstleistende und Unteroffiziere schickte man nach Schwedt. Sie wurden wegen politisch motivierten Befehls- und Wehrdienstverweigerungen sowie wegen öffentlicher Stellungnahmen gegen Partei, Staat und Armee von Militärgerichten verurteilt. Ihr Anteil belief sich auf schätzungsweise 15 bis 25 Prozent. Ende April 1990 wurden die letzten Militärstrafgefangenen entlassen. Wenige Wochen später erfolgte die Auflösung der „Disziplinareinheit 2″ der NVA in Schwedt/Oder.

Torsten Dressier hat mit seinem Buch, vor allem mit der dokumentarischen Erfassung der Grundstruktur der Strafvollzugseinrichtung/Disziplinareinheit für Militärpersonen in Schwedt, einen großen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des „Schreckensortes“ Schwedt geleistet. Nicht zuletzt auch aufgrund seiner Forschungen erfolgte am 26. Juni 2012 die Eintragung des Denkmals „Disziplinareinheit des ehemaligen Militärgefängnisses Schwedt/Oder“ in die Denkmalliste des Landes Brandenburg. Damit wurde die Bedeutung der ehemaligen Schwedter NVA-Dienststelle als wichtiges Zeugnis des militärischen Repressionsapparates der DDR unterstrichen.

Rüdiger Wenzke

Quelle
1  Rüdiger Wenzke, Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzugs, Berlin 2011; Falk Bersch/Hans Hermann Dirksen, Strafvollzug Berndshof/Ueckermünde (1952-1972), Schwerin 2012.